Triathlon- und Ausdauersport

Teck-Neckar-Fils - Wernau e.V.

Ironman Vichy - Wenn der Mann mit dem Hammer bereits vor dem Start zum Marathon kommt.

Prolog - Vorbereitung mit Hindernissen

"Wir freuen uns, dir mitteilen zu können, dass es 2019 eine völlig neue Radstrecke gibt, in die wir jetzt auch richtige Berge eingebaut haben." 

Höhenprofil der neuen Strecke

Das ist in etwa der Inhalt einer E-Mail, die mir kurz nach der Anmeldung zum Ironman Vichy zugeschickt wird. Schock! Der einzige Grund, warum ich mich für diesen Ironman im Nirgendwo der französischen Auvergne angemeldet habe, ist die flache und superschnelle Radstrecke. Schließlich will ich die Zielzeit meiner Langdistanzpremiere (Ironman Frankfurt 2017 - 11:54 Stunden) in Vichy unterbieten. Und wer mich kennt weiß, dass ich alles andere als eine Bergziege bin. Verärgert korrigiere ich mein Ziel auf < 12 Stunden.

Nur ein unscheinbarer Strich und ein paar Kratzer an der Leitplanke erinnern an den Sturz

Okay, eine Zielkorrektur um 6 Minuten spiegelt nicht wirklich die veränderten Bedingungen wieder, was ich mit einer intensiveren Vorbereitung kompensieren wollte. Also handle ich mit meiner besseren Hälfte für die Faschingsferien gleich einen "Urlaub" auf Lanzarote aus. Bis dahin läuft dann auch alles nach Plan. Am 21.3.2019 kommt dann der nächste Schock. An einem der ersten warmen und sonnigen Frühlingstage werde ich bei der Abfahrt auf der Gutenberger Steige übermütig und verbremse mich bei Tempo 60 in einer sich zuziehenden Rechtskurve. Ich schaffe es nicht mehr ganz, an einem entgegenkommenden Auto vorbeizukommen und touchiere es leicht mit meinem Hinterrad. Daraufhin verliere ich völlig die Kontrolle und mache einen Abgang über die Leitplanke. Da es nach dieser steil bergab geht, bleibe ich nach etlichen harten Aufschlägen erst 15 Meter unterhalb der Straße liegen. Wie durch ein Wunder überlebe ich das Ganze ohne Knochenbrüche und Verletzungen der inneren Organe. 

Obwohl ich bereits 4 Tage nach dem Sturz wieder auf dem Indoor Cycling Rad sitze, ist der Weg zu einem geregelten Training hart. Vor allem das stark in Mitleidenschaft gezogene rechte Knie und die linke Schulter bereiten Schmerzen beim Laufen und Schwimmen. An Vorbereitungswettkämpfe ist erst einmal nicht zu denken. Kann ich in Vichy starten? Den ersten richtigen Test mache ich dann am 07.07. als Staffelschwimmer beim Triathlon in Roth. Nachdem die Schulter hält, plane ich schell noch weitere Tests. Beim Triathlon in Tübingen geht es am 21.07. zunächst über die olympische Distanz. Da ich auf die Schnelle keine passende Halbdistanz finde, mache ich 10 Tage nach Tübingen noch einen Test in Eigenregie (mit der tollen Unterstützung meiner Frau, die mich mit Getränken und Gels versorgt). Das Ergebnis macht Hoffnung: Trotz verlängerter Radstrecke (96 km mit 750 hm) kann ich die Halbdistanz in unter 6 Stunden bewältigen. Vichy, ich komme! 

Schwimmen bei Sonnenaufgang

Es ist noch dunkel, als ich von unserer Unterkunft zum Start radle. In der Wechselzone treffe ich Vereinskamerad Michael Schölzl, der wenige Wochen nach Roth gleich seine 2. Langdistanz in diesem Jahr macht. Völlig gelassen erledigt er routiniert die Vorbereitungen während bei mir die Aufregung schon deutlich spürbar ist. Obwohl uns ein heißer Sommertag erwartet, ist es morgens um 6 noch so kalt, dass ich froh bin, als ich meinen Neopren anhabe. Gemeinsam reihe ich mich mit Michael für den "Rolling Start" bei 80 Minuten ein, während die ersten schon beim Morgengrauen ins Wasser springen. Geschwommen wird auf einem Rechteckkurs im Lac Allier. Die Strecke ist super gekennzeichnet, doch die aufgehende Sonne und meine leicht beschlagene Brille lassen mich die Bojen nicht mehr erkennen. Ich orientiere mich also am Ufer und muss feststellen, dass das keine gute Entscheidung ist. Plötzlich bin ich allein und sehe, dass ich einen großen Haken geschwommen bin. Auf dem Rückweg ist die Orientierung einfacher. Immer nur das hervorstechende Hochhaus anvisieren. Beim Schwimmen vergeht bei mir die Zeit überhaupt nicht und es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich endlich aus dem Wasser steigen darf. Objektiv waren es 84 Minuten, was für meine Verhältnisse akzeptabel ist. 


Radfahren: Kleine Ursache - große Wirkung

Endlich auf dem Rad

Neo aus, Socken, Radschuhe, Startnummer, Helm an und das Rad schnappen. Los geht’s. Obwohl es in den nassen Klamotten noch ziemlich frisch ist, kann ich mich entspannen. Jetzt kommt meine Lieblingsdisziplin. Die ersten 10 Kilometer sind flach und ich muss aufpassen, nicht zu überpacen. Also behalte ich meine Wattwerte im Auge und freue mich, trotzdem etliche Athleten zu überholen. Auch den ersten Berg, bei dem 300 Höhenmeter zu bewältigen sind, gehe ich gemäßigt an. Bei der darauffolgenden Abfahrt, werde ich dann von einigen wagemutigen Fahren überholt. Als ich den ersten Fahrer sehe, der eine enge Kurve nicht geschafft hat und auf dem Boden liegend von Sanitätern behandelt wird, sehe ich mich in meiner vorsichtigeren Fahrweise bestätigt. Nach der Abfahrt befindet man sich schon in der Runde, die ab Cusset dann noch 3 Mal zu fahren ist. Nach einer Verpflegungsstation geht es zunächt einmal über 5 Kilometer und 200 Höhenmeter bergauf. Danach kommt hügliges Gelände mit kurzen, schnellen Abfahrten und steilen Gegenrampen. Insgesamt zieht sich dieses Gelände über 17 km, wobei man dabei nochmal 100 Meter an Höhe gewinnt. Am höchsten Punkt kommt die 2. Verpflegungsstation bevor es dann steil hinunter in das Vallée du Sichon geht. In diesem schönen Tal fährt man über 10 Kilometer leicht bergab. Hier kann ich meine Qualitäten in der Aeroposition ausspielen und fliege an den anderen vorbei. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 31 km/h beende ich die erste Runde und fühle mich richtig gut. Die Versorgungsstationen werden langsam zur Routine. Deckel vom Aerotank öffnen, leere Trinkflasche und leere Gelverpackungen wegwerfen, 1. Flasche Iso greifen und in den Halter hinter dem Sattel stecken, 2. Flasche Iso greifen, in den Mund nehmen und mit den Zähnen festhalten, Gel greifen und in die Trikottasche stecken, Flasche aus dem Mund nehmen und damit den Aerotank füllen, leere Flasche wegschmeißen und den Deckel des Aerotankes schließen. Das alles klappt prima ohne anzuhalten. 


Kurze, steile Rampen kosten Körner


Mein Element - Kette rechts und Aeroposition


Der entscheidende Moment - leerer Aerotank und leerer Flaschenhalter


Inzwischen ist das Thermometer über 30°C gestiegen. Nach dem  Anstieg in der 2. Runde war mein Aerotank bereits leer. Ich habe Durst und denke an den Spruch, dass es bereits zu spät ist, wenn man Durst verspürt. Also schnell den Aerotank wieder auffüllen. In einer kurzen Abfahrt möchte ich meine Flasche hinter dem Sattel greifen und fahre dabei in ein Schlagloch. Die volle Trinkflasche fällt aus der Halterung auf den Boden. Anhalten und den Berg wieder hochfahren? Leider treffe ich die falsche Entscheidung und fahre weiter. Für 13 Kilometer habe ich jetzt nicht nur nichts mehr zu trinken, auch das geplante Gel und die Salztablette müssen ohne Flüssigkeit ausfallen. Was dann passiert, kannte ich zwar vom hören, habe es aber Gott sei Dank bisher noch nie selbst erlebt. Von einem Moment auf den Anderen geht gar nichts mehr - ich kann keine Kraft mehr auf die Pedale bringen. Als ich es trotzdem versuche, verkrampft sich die gesamte Beinmuskulatur. Beim Versuch einen Muskel zu dehnen und zu lockern verkrampft sich sofort dessen Gegenspieler um so mehr. Ich muss alle Willenskraft aufbringen, um vorsichtig weiterzutreten. Bei einer Leistung bis 75 Watt und einer gleichmäßigen Bewegung kann ich dann die Krämpfe halbwegs kontrollieren. Allerdings reichen 75 Watt für so manche Rampe auf diesem Teil der Strecke nicht aus und ich komme immer wieder in den roten Bereich und die Krämpfe kommen wieder. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt dann endlich die Versorgungsstation. Diesmal halte ich an, trinke erst einmal etwas und schaue, dass die neue Flasche ordentlich befestigt ist. Auf der Abfahrt und durch das Tal kann ich mich einigermaßen erholen. Ich trinke ständig und schaffe es trotzdem nicht, das Durstgefühl loszubekommen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass am Anstieg der 3. Runde die Krämpfe wiederkommen. Wieder muss ich die Leistung auf ein Minimum herunterfahren und werde an einem Hügel unter anderem von einer durchaus übergewichtigen Dame mit Alurad überholt. Obwohl ich vor ihr mindestens eine Runde Vorsprung habe, ist das schon ziemlich demütigend. Schließlich schaffe ich die 3. Runde doch noch in einem Schnitt von 23 km/h und beende den Radsplit in 6 1/2 Stunden. 



Laufen - Die Kunst, sich noch einmal zu motivieren

Mein 12 Stunden Ziel ist jetzt schon außer Reichweite und mir ist völlig unklar, wie ich in dieser Verfassung überhaupt einen Marathon laufen kann. In der Wechselzone bin ich kurz vor dem Aufgeben. Andererseits bleiben mir noch 8 Stunden bis zum Zielschluss und ich würde es ewig bereuen, wenn ich den Wettkampf nicht zu Ende bringe. Also schnüre ich die Laufschuhe und beginne vorsichtig zu Laufen.

Um die Willenskraft aufrecht zu erhalten formuliere ich für mich neue Ziele und Regeln: Unter 6 Stunden muss ich den Marathon schon schaffen und ich darf an den Versorgungsstationen und darüber hinaus  Gehpausen machen. Wenn ich aber dann anfange zu laufen muss ich auch bis zur nächsten Versorgungsstation durchhalten. Im Schnitt ist alle 2 Kilometer eine Versorgungsstation, so dass der selbst auferlegte Deal machbar ist. Ich kämpfte aber weiterhin mit Krämpfen und Kraftlosigkeit. Die Temperatur ist inzwischen auf 35°C gestiegen. Die Strecke ist bis auf zwei Brücken und einer kurzen Rampe von der unteren zur oberen Seepromenade eben, aber der Belag lässt doch zu wünschen übrig. Da gibt es Abschnitte mit groben Schotter und mit staubenden Sand, und überall muss man auf Unebenheiten achten.  Auf der 3. von 4 Laufrunden werden die Gehpausen immer länger aber ich liege gut in meinem neuen Zeitplan. Die 4. Runde muss ich dann nahezu vollständig gehen. Trotzdem schaffte ich den Marathon in 5 1/2 Stunden und überquerte nach insgesamt 13 Stunden und 38 Minuten glücklich die Ziellinie.

Michael ist mit einer Zeit von 12:26 Stunden über eine Stunde schneller als ich. Gratulation!


Die Brille verbirgt den wahren Zustand


Im Ziel überwiegt doch die Freude


Eine weitere Medaille


Fazit

Dass bei einem Ironman wie bei meiner Premiere in Frankfurt nahezu alles nach Plan läuft, ist wohl eher die Ausnahme. Aber gerade überwundene Rückschläge machen das Erreichte noch wertvoller. Nachdem ich während des Wettkampfes gegen die Enttäuschung, meine Ziele nicht erreichen zu können, ankämpfen musste, überwiegt im Ziel die Freude darüber, den Wettkampf beendet zu haben. Klar ist aber auch, dass dies nicht meine letzte Langdistanz war. 2021 werde ich die Zeit von Frankfurt noch einmal angreifen.

Wie der Wettkampf verlaufen wäre, wenn ich die Flasche nicht verloren hätte, werde ich nie klären können. Wahrscheinlich hatte ich schon vorher nicht genug getrunken. Bei meinen Grübeleien über den Flüssigkeitshaushalt komme ich auf folgende, erstaunliche Bilanz: Während des Wettkampfes und bei der Zielverpflegung habe ich insgesamt über 20 Liter Flüssigkeit zu mir genommen, ohne ein einziges Mal auf die Toilette zu müssen. Als jemand, der schnell und viel schwitzt, muss ich feststellen, dass das für mich immer noch zu wenig war.

Zu guter Letzt möchte ich mich noch bei Micha, meiner Frau bedanken, für das Verständnis und die Unterstützung bei der Vorbereitungszeit und für die geniale Begleitung während des Wettkampfes. Zu Fuß und mit dem Mountainbike hat sie selbst fast 60 km zurückgelegt, um in allen Phasen meines Wettkampfes immer wieder unvermittelt zu erscheinen, mich lautstark anzufeuern und vor allem beim abschließenden Marathon aufzumuntern. Danke!

Text: Albrecht Blessing

Bilder: FinisherPix


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